08.08.2013 Standpunkte
Abenteuer in Rumänien - Reisetagebuch: Vierter Tag
Nach einer noch kürzeren Nacht als sonst, öffneten wir gegen 6:30 Uhr unsere Hütte. Schon jetzt lachte uns die Sonne entgegen. Nach der allgemeinen Morgenpflege schlichen alle Teilnehmer zum Carport. Nach dem Anfangsgebet, dem Frühstück und dem Schlussgebet instruierte uns unser Somar, dass bald die Busse zur Abfahrt kommen würden. Weiter sagte er, dass es nach unserem Ausflug zum St. Annasee und dem Abendessen einen Filmabend geben würde.
Doch jetzt erst mal zum Ausflug. Kurz vor 9:00 Uhr wurde es aufregend. Tatsächlich kamen zwei richtig große Reisebusse auf den Hof gerollt. Einer davon hatte einen stinknormalen Einstieg mit Treppen und Geländer. In diesem fuhren die Betreuer, Fußgänger und zum Teil Rollstuhlfahrer, die aus dem Rollstuhl aufstehen konnten. Im anderen Bus konnten wir anderen Rollstuhlfahrer einsteigen. Dies gestaltete sich jedoch für uns Krautheimer relativ ungewöhnlich. An dem Bus gab es keine Rampe. Anita, Thomas und ich schauten uns nur an und fragten uns, wie wir wohl einsteigen könnten. Und schon wieder gab es eine Lösung. Genau wie an den Häusern wurde eine, aus 5 oder 6 Brettern zusammengenagelte, Rampe herbeigezaubert. Diese hatte keine seitlichen Begrenzungen. Dies konnte nur bedeuten, dass man seinen Rolli beherrschen musste oder abstürzen würde. Also gut, ich war der erste, der sein Glück versuchen durfte und gleich kam es zum Beinaheunfall. Ich nahm glaube ich etwas zu viel Schwung und fuhr fast an der exklusiven Rampe wieder herunter. Doch mein Schutzengel Róbert stand da und half mir die Rampe hoch zu fahren. Im Bus musste ich noch etwas rangieren, um meinen Platz einzunehmen. Ich sah keine Anschnallmöglichkeit, fragend schaute ich Róbert an. Er meinte nur ganz cool: "Ihr seid drei Rollstühle, die relativ eng beieinander stehen, somit könnt ihr nicht umfallen und deswegen muss man nicht anschnallen“. Dieses Argument hat mich sofort überzeugt und ich harrte der Dinge, die da noch kommen sollten. Anita stellte sich genau neben mich und dazu neben uns kam noch eine weitere Rollstuhlfahrerin. Als wir drei standen, wurde die Rampe in eine kleine Lücke neben der dritten Rollifahrerin geschoben. Wenige Minuten später schlossen sich die Türen und die Fahrt konnte beginnen. Zunächst fuhren wir über Straßen, die gar nicht so übel waren. Irgendwann kamen wir aber dann in ein Gebiet, wo wir auch Serpentinen hochfahren mussten. Ich war neugierig und blickte aus dem Fenster. Dies stellte sich jedoch als Fehler heraus. Links und rechts war der Abgrund nicht weit. Also entschloss ich mich die Landschaft zu genießen, ohne nach unten zu schauen. Zudem war ich davon überzeugt, dass alle noch einigermaßen müde sein müssten, denn immerhin begann unser Tag eine Stunde früher als normal. Aber auch dies war ein Trugschluss. Im Bus war eine recht ausgelassene Stimmung, nur die zwei Malteserverantwortlichen Robert und Atilla ruhten sich aus. Dies war aber auch mehr als verständlich, denn sie waren jeden Tag schon sehr früh für uns da und abends feierten sie mit uns und waren die letzten, die zu Bett gingen. Also hatten sie sich die Pause während der knapp zweistündigen Fahrt mehr als verdient.
Auf einem Parkplatz über dem Vulkansee St. Anna stiegen wir aus. Jetzt mussten wir erst mal eine Teer-Schlagloch-Straße zu Fuß zum See hinunter. Auch hier gab es noch ein kleines Hindernis, eine Schranke. Diese mussten wir umfahren, jedoch hatten wir nur einen schmalen Pfad, bevor es einen recht steilen Abhang hinunter ging. Nachdem wir dies geschafft hatten, konnten wir relativ bequem zum See laufen. Uns erwartete eine echt schöne Landschaft. Der See war ausschließlich von Bergen umgeben. Wir hatten einen Platz auf dem wir uns schön ausbreiten konnten. Thomas legte eine Decke für uns Krautheimer auf ein Stück Wiese. Hier konnten wir uns mit all unseren Klamotten und Lunchpaketen, Getränken u.s.w. für den Tag einrichten. Anita ließ sich auf dem Platz ihren Badeanzug und ihre Schwimmflügel anziehen, auch alle anderen wechselten ihr Outfit. Seit über zwanzig Jahren zeigte ich meine nackten Beine nicht mehr in der Öffentlichkeit, doch bei diesem schönen Wetter hatte ich kein Problem damit. Ich genoss es, einfach mal mit nackten Beinen da zu sitzen.
Die Sonne schien recht stark und wir machten uns ziemlich schnell über unsere Getränke her. Thomas war der erste, der mal in den See ging um eine Runde zu schwimmen. Als er zurückkam, berichtete er, dass das Wasser eine angenehme Temperatur hat. Sofort war Anita begeistert und wollte auch ins Wasser. Thomas packte sie kurzerhand und trug sie bis ans Ufer und ins Wasser. Anita hatte sichtlich viel Spaß und plantschte heftig. Nachdem auch sie zurückkam, bekamen wir allmählich Hunger. Also begannen wir uns über unsere Lunchpakete herzumachen. Während dem Essen bekamen wir Besuch von unserer lieben Nati. Sie fragte, ob sie Thomas beim Essenanreichen helfen könne. Thomas nahm das Angebot gerne an und lud Nati auch gleich zum Bleiben ein. Nati half Anita beim Essen und setzte sich danach auf unsere Decke.
Irgendwann kam Róbert und fragte, ob ich nicht in einem Ruderboot mitfahren wollte. Ich war mir meines Gewichtes bewusst und sagte, dass ich gerne mitfahren würde, ich aber doch bestimmt zu schwer sei. Róbert zögerte nicht und fragte erneut, ob ich Lust hätte. Ich nickte und grinste, also nahm Róbert mich mit ans Ufer. Eigentlich wollte ich noch sagen: „Ich kann auf meinen Füßen stehen.“ Doch ruck zuck schnappten mich viele freiwillige Malteser an Armen und Beinen und hievten mich in das Boot. Noch im Trockenen bekam ich eine Schwimmweste angezogen. Als ich im Boot saß, ging die Spitze auf Grund der Gewichtsverhältnisse steil nach oben. Aber auch hier fand sich schnell eine Lösung. Es wurden kleine Kinder herbeigerufen, diese sollten sich auf den Platz mir gegenüber setzen. Somit war die Gewichtsverhältnisse wieder ausgeglichen. Róbert setzte sich in die Mitte und begann zu rudern. Ich dachte bei mir, dass wir auf Grund der schwierigen Situation nur einige Meter vom Ufer weg fahren würden. Doch weit gefehlt. Róbert ruderte mit uns in die Mitte des Sees. Ich dachte nur:“ Wenn jetzt was passiert, ist alles aus.“ Doch Róbert fragte mich lächelnd, ob ich Spaß hätte. Ich nickte nur. Spaß hatte ich auf jeden Fall, auch wenn man es meinem Gesicht nicht so ansah. So eine Aktion hatte ich schon lange nicht mehr erlebt. Als wir zum Ufer zurückkamen, erwartete mich Thomas mit der Kamera. Allerdings war ich nicht unglücklich, als ich wieder in meinem Rollstuhl saß.
Danach gingen Anita, Thomas und ich auf Entdeckungstour. Wir spazierten auf dem Weg rund um den halben See. Als wir dann nach einer Stunde zurückkamen, bat uns unser lieber Róbert doch schnell wieder einzupacken. Es war echt lustig zu sehen, wie schnell alle anderen ihre Sachen zusammen packten. Thomas hatte kaum Zeit, denn er musste schließlich nicht nur seine, sondern auch Anitas und meine Sachen zusammen suchen.
Noch während wir in aller Eile unseren Kram richteten, zogen schon die Ersten Richtung Busparkplatz. Wieder oben angekommen stiegen wir genauso in die Busse wie am Morgen. Ich dachte mir jetzt nach diesem doch anstrengenden Tag müsste jeder K. O. und müde sein. Doch erneut täuschte ich mich. Zumindest bis zur Hälfte der Fahrt gab es eine kleine Busparty. Einige holten ihre Handys raus und spielten Musik. Genauso wenig wie es Anschnallmöglichkeiten für Rollstühle gab, hatten die Sitze Gurte. Deshalb konnte man sich herumlümmeln wie man wollte. Doch ich glaube, dies störte überhaupt niemand. Irgendwann wurden die meisten dann doch müde und man konnte die Beine von der einen Person auf dem Sitz der anderen Person liegen sehen. Die Oberkörper lagen kreuz und quer und bis zur Ankunft im Camp ruhte man sich dann doch mehr oder weniger aus. Je nachdem, wie es die Straßen zuließen.
Schon kurz nach der Ankunft verlief das Abendessen wie gewohnt. Jetzt kam ein kleiner Wehrmutstropfen. Unser lieber Somar, der uns die ganze Woche begleitet hatte, musste das Camp verlassen, um wieder an die Arbeit zu gehen. Auch mir selber tat es leid, denn in den vergangenen vier Tagen hatte ich ihn richtig lieb gewonnen. Er kündete aber noch den letzten Programmpunkt für den Abend an. Es sollte ein Film gezeigt werden. Gleichzeitig machte er uns auf den Sporttag am Freitag aufmerksam. Als er mit dem Auto vom Platz fuhr konnte man bei allen Teilnehmern ein bisschen Traurigkeit im Gesicht ablesen. Somar war schon ein ganz spezieller Typ.
Wie angekündigt wurde um 21:00 Uhr unter dem Carport ein Film gezeigt. Dieser war auf Rumänisch. Róbert stellte einen Untertitel ein. Zuerst hatte ich noch Hoffnung, dass er wenigstens einen englischen Untertitel auswählt, doch auch hier stimmte der Spruch: erstens kommt es anders…
Da im Camp viele ungarisch sprachige Leute waren, stellte er einen ungarischen Untertitel ein. Dies war für uns Krautheimer, die weder ungarisch noch rumänisch sprechen, eine sehr große Hilfe. Somit beschloss zumindest ich, dem Film nicht die allergrößte Aufmerksamkeit zu widmen. Ich nutzte die Gelegenheit, in einem sentimentalen Anflug mal über die letzten vier Tage nachzudenken. Meine Gedanken werde ich Euch im Teil 7 darstellen.
- Im nächsten Beitrag, dem Teil 6, berichte ich Euch über den Sporttag.
Bis bald Euer Steffen
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