20.12.2013
Wo ein Wille ist….
„Ich habe nichts bereut“, stellt Sevda Korkmaz fest. Sie ist 28 Jahre alt, von Geburt an schwerbehindert. Sprechen kann sie nicht, sie kommuniziert mit einem Kopfalphabet.
Sevda hat sich vor einem Jahr für ein Leben in einer eigenen Wohnung mit Assistenz entschieden. „Schon in der Schule hatte ich den Wunsch, später einmal selbstbestimmt zu leben“, erinnert sie sich. Wie viel Geduld und Durchhaltevermögen erforderlich sind, um das Projekt „eigene Wohnung“ zu realisieren, wurde ihr so nach und nach bewusst.
Nach dem Schulabschluss und mit der Volljährigkeit kam die Frage „Wie geht es weiter?“. „Bevor ich bei meinen Eltern zu Hause rumsitze, habe ich mir einen Platz in einer Einrichtung gesucht“, sagt Sevda. Geeignete Pflegeeinrichtungen für Menschen mit Körperbehinderung sind im Rhein-Neckar-Raum Mangelware. Nach einigen Besichtigungen entschloss sich Sevda für das Eduard-Knoll-Wohnzentrum in Krautheim, einer Einrichtung des Bundesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter e.V. Hier wurde ihr auch ein Arbeitsplatz in den Krautheimer Werkstätten für Menschen mit Behinderung angeboten. „Es sollte vorübergehend und für mich auch eine Vorbereitung auf dem Weg in die Selbständigkeit sein“.
Über ihre Mitgliedschaft beim BSK e.V. bekam sie Kontakte zu der ehemaligen BSK-Bundesvorsitzenden Elke Bartz. „Elke hat mich immer wieder motiviert: `Wenn Du das willst, dann schaffst du das auch´. Das hat mir Mut gemacht, mein Projekt weiter zu verfolgen“, sagt Sevda. Elke Bartz hatte als Gründerin des Vereins Forum Selbstbestimmte Assistenz, ForseA e.V., selbst viele Erfahrungen und Kontakte und gab Sevda Tipps für die ersten Schritte. Dass sie aufgrund der UN-Behindertenrechtskonvention ein Recht auf eine eigene Wohnung hat, erfuhr sie vom BSK. Jedoch musste der Kostenträger – in ihrem Fall die Stadt Mannheim – von Beginn an in die Planung einbezogen werden. Das Sozialamt der Stadt Mannheim war schon beim ersten persönlichen Gespräch mit Sevda kooperativ. „Zunächst hieß es, ich könne aus Kostengründen nur in eine Wohngemeinschaft ziehen“, erläutert Sevda. Das war jedoch nicht ihr Wunsch. Sie blieb hartnäckig, erkundigte sich beim Behindertenbeauftragten der Stadt Mannheim über ihre Chancen und Möglichkeiten. Nach zahllosen Besprechungsterminen im Sozialamt, bei denen Sevda ihre Position klar behauptete, signalisierte die Stadt ihr Zugeständnis zur Finanzierung einer eigenen Wohnung.
Das war der Durchbruch. Sevda begann mit der Wohnungssuche. Barrierefreiheit war absolute Voraussetzung. Davon gibt es allerdings in Mannheim nicht wirklich viele. Und für die wenigen barrierefreien Wohnungen gibt es lange Wartelisten von Interessenten. Für eine konnte sie sich gleich bei der Besichtigung begeistern. „Die hätte ich sofort genommen. Dann habe ich erfahren, dass vor mir noch andere Rollifahrer an der Reihe sind. Erst wenn die absagen, werde ich gefragt“.
Parallel musste Sevda mindestens 3 Angebote von Assistenzanbietern in Mannheim einholen. „Da ich im Alltag auf Unterstützung angewiesen bin, musste jeder der drei Anbieter eine maßgeschneiderte Lösung für mich zusammenstellen“, sagt Sevda. Konkret heißt das, eine Assistentin ist nach Feierabend von 16.30 Uhr bis 22 Uhr und eine von 22 Uhr bis 7.30 Uhr bei ihr. Am Wochenende rund um die Uhr.
Ende Juli 2012 kam dann der Anruf: Ihre Traumwohnung ist für sie reserviert. Die anderen haben abgesagt. „Jetzt wurde es ernst. Ich habe mich zwar riesig gefreut, aber gleichzeitig Angst bekommen, ob ich das jetzt alles schaffe“, räumt sie ein.
Jetzt galt es innerhalb von 2 Monaten die Assistenzfrage zu klären, den Arbeitsplatz in der WfB zu organisieren, den Heimplatz zu kündigen, Möbel zu kaufen und den Umzug zu organisieren. „Das war der pure Stress. Ich hatte zwar schon seit Jahren meine eigene Wohnung in Gedanken eingerichtet, aber jetzt wurde es ja wirklich ernst“.
Die Stadt bewilligte die Erstausstattung der Wohnung und die Umzugskosten. Mit Unterstützung ihrer Familie zog sie am 1. Oktober 2012 in ihre eigene Wohnung. „Ich trage heute Verantwortung für meinen eigenen Haushalt mit allen Vor- und Nachteilen“, so ihr Fazit nach einem Jahr.
Gelernt hat sie mittlerweile auch, dass Assistentinnen nur das machen, zu was sie beauftragt werden. „Das ist im Alltag nicht immer einfach. Meinen Assistentinnen muss ich klare Ansagen machen, was genau wann zu tun ist. Sonst läuft hier nix“, sagt Sevda. „Ich muss noch lernen, im Umgang mit meinen Assistentinnen etwas konsequenter zu werden“, wünscht sie sich und zieht ihr Fazit: „Mein Traum ist in Erfüllung gegangen. Das was ich erreichen wollte, habe ich erreicht. Ich bereue nichts“.
Ihr nächstes Ziel steht auch schon fest: „Ich möchte irgendwann auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt eine Chance bekommen“.
Peter Reichert
Quelle: LEBEN & WEG Ausgabe 6/2013
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