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Beitrag vom 09.05.2011: Der Schmetterling - Teil 1

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Erzähler: Der Schmetterling wollte eine Braut haben und sich unter den Blumen eine recht niedliche aussuchen. Zu dem Ende warf er einen musternden Blick über den ganzen Blumenflor und fand, dass jede Blume recht still und eher ehrsam auf ihrem Stengel saß, gerade wie es einer Jungfrau geziemt, wenn sie nicht verlobt ist; allein es waren gar viele da, und die Wahl drohte mühsam zu werden. Diese Mühe gefiel dem Schmetterling nicht, deshalb flog er auf Besuch zu dem Gänseblümchen. Dieses Blümlein nennen die Franzosen 'Margarete'; sie wissen auch, daß Margarete wahrsagen kann, und das tut sie, wenn die Liebesleute, wie es oft geschieht, ein Blättchen nach dem andern von ihr abpflücken, während sie an jedes eine Frage über den Geliebten stellen: 'Von Herzen? - Mit Schmerzen? - Liebt mich sehr? - ein klein wenig? - Ganz und gar nicht?' und dergleichen mehr. Jeder fragt in seiner Sprache. Der Schmetterling kam auch zu Margarete um zu fragen; er zupfte ihr aber nicht die Blätter aus, sondern er drückte jedem Blatte einen Kuß auf, denn er meinte, man käme mit Güte besser fort.



Der Schmetterling: Beste Margarete Gänseblümlein!



Erzähler: sprach er zu ihr



Der Schmetterling: Sie sind die klügste Frau unter den Blumen, Sie können wahrsagen - bitte, bitte, mir zu sagen, bekomme ich die oder die? Welche wird meine Braut sein? - Wenn ich das weiß, werde ich geradeswegs zu ihr hinfliegen und um sie anhalten.



Erzähler: Allein Margarete antwortete ihm nicht, sie ärgerte sich, daß er sie 'Frau' genannt hatte, da sie doch noch eine Jungfrau sei - das ist ein Unterschied! Er fragte zum zweiten und zum dritten Male; als sie aber stumm blieb und ihm kein einziges Wort entgegnete, so mochte er zuletzt auch nicht länger fragen, sondern flog davon, und zwar unmittelbar auf die Brautwerbung.

Es war in den ersten Tagen des Frühlings, ringsum blühten Schneeglöckchen und Krokus



Der Schmetterling: 'Die sind sehr niedlich



Erzähler: dachte der Schmetterling



Der Schmetterling: allerliebste kleine Konfirmanden, aber ein wenig zu sehr Backfisch!



Erzähler: Er, wie alle jungen Burschen, spähte nach älteren Mädchen aus.

Darauf flog er auf die Anemonen zu; diese waren ihm ein wenig zu bitter, die Veilchen ein wenig zu schwärmerisch, die Lindenblüten zu klein und hatten eine zu große Verwandtschaft; die Apfelblüten - ja, die sahen zwar aus wie Rosen, aber sie blühten heute, um morgen schon abzufallen, meinte er. Die Erbsenblüte gefiel ihm am besten, rot und weiß war sie, auch zart und fein, und gehörte zu den häuslichen Mädchen, die gut aussehen und doch für die Küche taugen; er stand eben im Begriffe, seinen Liebesantrag zu stellen - da erblickte er dicht neben ihr eine Schote, an deren Spitze eine welke Blüte hing



Der Schmetterling: Wer ist die da?



Erzähler: fragte er



Erbsenblüte: Es ist meine Schwester



Erzähler: antwortete die Erbsenblüte



Der Schmetterling: Ah, so! Sie werden später auch so aussehen?