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Beitrag vom 04.03.2010: Die Lebenszeit

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Die Lebenszeit



Erzähler: Als Gott die Welt geschaffen hatte und allen Kreaturen ihre Lebenszeit bestimmen wollte, kam der Esel und fragte



Esel: 'Herr, wie lange soll ich leben?'



Gott: Dreißig Jahre, ist dir das recht?'



Esel: Ach Herr,das ist eine lange Zeit. Bedenke mein mühseliges Dasein: von Morgen bis in die Nacht schwere Lasten tragen, Kornsäcke in die Mühle schleppen, damit andere das Brot essen, mit nichts als mit Schlägen und Fußtritten ermuntert und aufgefrischt zu werden! erlaß mir einen Teil der langen Zeit.'



Erzähler: Da erbarmte sich Gott und schenkte ihm achtzehn Jahre. Der Esel ging getröstet weg, und der Hund erschien.



Gott: Wie lange willst du leben? Dem Esel sind dreißig Jahre zu viel, du aber wirst damit zufrieden sein.'



Hund: Herr, ist das dein Wille? Bedenke, was ich laufen muß, das halten meine Füße so lange nicht aus; und habe ich erst die Stimme zum Bellen verloren und die Zähne zum Beißen, was bleibt mir übrig, als aus einer Ecke in die andere zu laufen und zu knurren?'



Erzähler: Gott sah, daß er recht hatte, und erließ ihm zwölf Jahre. Darauf kam der Affe.



Gott: Du willst wohl gerne dreißig Jahre leben? Du brauchst nicht zu arbeiten wie der Esel und der Hund, und bist immer guter Dinge.'



Affe: Ach Herr,das sieht so aus, ist aber anders. Wenns Hirsenbrei regnet, habe ich keinen Löffel. Ich soll immer lustige Streiche machen, Gesichter schneiden, damit die Leute lachen, und wenn sie mir einen Apfel reichen und ich beiße hinein, so ist er sauer. Wie oft steckt die Traurigkeit hinter dem Spaß! Dreißig Jahre halte ich das nicht aus.'



Erzähler: Gott war gnädig und schenkte ihm zehn Jahre.



Endlich erschien der Mensch, war freudig, gesund und frisch und bat Gott, ihm seine Zeit zu bestimmen. 'Dreißig Jahre sollst du leben,' sprach der Herr, 'ist dir das genug?'



Mensch: 'Welch eine kurze Zeit, wenn ich mein Haus gebaut habe, und das Feuer auf meinem eigenen Herde brennt, wenn ich Bäume gepflanzt habe, die blühen und Früchte tragen, und ich meines Lebens froh zu werden gedenke, so soll ich sterben! o Herr, verlängere meine Zeit.'



Gott: 'Ich will dir die achtzehn Jahre des Esels zulegen.' 



Mensch: 'Das ist nicht genug.'



Gott: 'Du sollst auch die zwölf Jahre des Hundes haben.'



Mensch: 'Immer noch zu wenig.'



Gott: 'Wohlan, ich will dir noch die zehn Jahre des Affen geben, aber mehr erhältst du nicht.'



Erzähler: Der Mensch ging fort, war aber nicht zufrieden gestellt.

Also lebt der Mensch siebzig Jahr.



Die ersten dreißig sind seine menschlichen Jahre, die gehen schnell dahin; da ist er gesund, heiter, arbeitet mit Lust und freut sich seines Daseins.



Hierauf folgen die achtzehn Jahre des Esels, da wird ihm eine Last nach der andern aufgelegt: er muß das Korn tragen, das andere nährt, und Schläge und Tritte sind der Lohn seiner treuen Dienste.



Dann kommen die zwölf Jahre des Hundes, da liegt er in den Ecken, knurrt und hat keine Zähne mehr zum Beißen.



Und wenn diese Zeit vorüber ist, so machen die zehn Jahre des Affen den Beschluß.



Da ist der Mensch schwachköpfig und närrisch, treibt alberne Dinge und wird ein Spott der Kinder.