Es begab sich zur Weihnachtszeit, also zu einer Zeit der Besinnung und Vorfreude auf das kommende Fest, dass alle Seelen verstorbener Menschen sich über dem Friedhof versammelten, um das Treiben der Menschen beim Anzünden der Kerzen zu beobachten und sich daran zu erfreuen. War es doch eine Geste der Erinnerung der noch Lebenden an ihren lieben Verstorbenen. Trotz der winterlichen Kälte war es ein Heer von Lichtern, das auf dem Friedhof verteilt brannte. Und jede Seele war froh, dass die Angehörigen an sie dachten und ein Licht auf ihr Grab stellten.
Nur eine Seele weinte bitterlich und vergoss viele Tränen, da auf ihrem Grab kein Lichtlein brannte. So wurden die anderen Seelen traurig und versuchten, die weinende Seele zu trösten. Es gelang ihnen aber nicht. So legten sie sich hin und schliefen ein, denn auch Seelen werden müde. Auch die weinende Seele fand ihren Schlaf.
Während die anderen Seelen tief schliefen, wurde die traurige Seele plötzlich wach und bemerkte zu ihrem Erstaunen, dass sie nicht mehr traurig war. Was war geschehen? Sie hörte ganz tief in sich hinein und vernahm eine Stimme, die eindringlich und intensiv zu ihr sprach: „Theo“ – so hieß ihr Ehemann und dessen Seele sie nun war – „ ich habe dich nicht vergessen. Schau mal, ich liege krank im Bett, aber in Gedanken bin ich bei dir. Nicht nur jetzt sondern so oft auch am Tage. Also sei nicht traurig. Ich bin öfters bei dir als die Angehörigen der anderen Seelen.“ Da weinte die Seele nochmals, dieses Mal waren es Freudentränen.
Am Morgen wunderten sich die anderen Seelen über die jetzt fröhliche Seele, die doch abends zuvor so traurig war und wollten wissen warum sie jetzt so fröhlich ist. Diese aber erzählte nichts von der nächtlichen Begebenheit. Wollte sie ja nicht, dass alle anderen Seelen traurig werden weil zu ihnen niemand von ihren noch lebenden Angehörigen gesprochen hatten.
