MEIN FREUND DER ALKOHOL von Hans-Jürgen Heckmann Email hj.heckmann@gmx.de Ich schreibe diese Zeilen für Menschen, denen es nicht so ergehen soll wie mir. Sagt NEIN zur Droge – und Alkohol ist eine nicht zu unterschätzende Droge. Einleitung Der Titel mein Freund der Alkohol ist vom Leser als reine Ironie zu verstehen. In der Zeit der Abhängigkeit war er wirklich mein Freund, ohne den ich nicht auskam. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Aber man sollte nie nie sagen. Ich kenne Menschen, die jahrelang trocken waren und dann aus irgendwelchen Gründen wieder rückfällig wurden. Von mir muss ich sagen, dass ich auch dazu gehöre. Ich war einige Male eine Zeitlang trocken, und der Alkohol hatte mich wieder im Griff. Unterscheiden sollte man zwischen Spiegelalkoholiker und Quartalsäufer. Der Spiegelalkoholiker trinkt ständig, damit sein Alkoholspiegel immer gleich groß ist, während der Quartalsäufer sich alle vier oder mehr Wochen betrinkt. Danach trinkt er keinen Tropfen Alkohol. In dieser Zeit kann sich die Leber erholen. Ich war Spiegelalkoholiker. Wenn mein Spiegel zu hoch oder zu tief war ging es mir schlecht. Also musste ich immer in der Mitte bleiben, was nicht leicht war. So trank ich schon morgens Alkohol, weil über Nacht mein Spiegel gesunken war. Es wird so viel von Alkoholmissbrauch und Folgeerscheinungen geschrieben. Meistens von Ärzten oder Psychologen, deren Wissen mehr theoretischer Art ist. Ich will nicht abstreiten, dass ihre Ausführungen in Büchern richtig sind, jedoch ist jeder Betroffene auf seine Art so verschieden wie es Menschen in ihrer Individualität sind. Aus diesem Grunde berichte ich über meine Erfahrungen mit Freund Alkohol. Also nicht in der Theorie sondern von selbst Erlebten. Wie alles begann: Ich bin spastisch gelähmt und konnte bis zu meinem vierzigsten Lebensjahr ohne Hilfe laufen. Mit ca.14 Jahren machte ich die Erfahrung, dass, wenn ich ein oder zwei Glas Bier trank, ich viel sicherer Laufen und besser Sprechen konnte. Auch meine Motorik war weitaus besser. Das hatte zur Folge, dass ich öfters zu diesem Heilmittel griff. Damals waren Begriffe wie Alkoholiker mit all seinen Nebenerscheinungen wie Leberschädigung, Gehirnzellenverlust, Verhaltensstörungen und vieles mehr unbekannt. Das galt auch für meine Eltern und Bekannten. Und wenn der Eine oder Andere davon wusste, sprach er nicht darüber. Das änderte sich, als meine Mutter meinen stärker werdenden Alkoholgenuss bemerkte, zumal ich auf Rotwein umgestiegen bin. Das Bier zeigte nicht mehr die beruhigende Wirkung. Etwas Stärkere musste her, und das war der Wein. Einige Gespräche mit einer Psychologin und einem mehrwöchigen Aufenthalt in einem Krankenhaus, wo ich medikamentös behandelt wurde, brachte nicht viel. Ich war 3 oder 4 Wochen trocken, und die Freude meiner Mutter war nicht zu übersehen. Umso größer war die Endtäuschung, als sie bemerkte, dass ich wieder trank. Auch hatte ich ein schlechtes Gewissen. Aber es half alles nichts. Abends stellte ich die Pulle in greifbare Nähe, damit ich nachts einige Schlucke daraus trinken konnte. „Man oh Mann“ dachte ich – „soweit bin ich schon gekommen!“ Von alleine komme ich davon nicht los. So ging das längere Zeit. Mit 19 Jahren besuchte ich die Handelsschule, und mit der Mittleren Reife bestand ich die Lehre als Industriekaufmann. Beides in Internaten bei Bonn und Koblenz. In dieser Zeit trank ich nur an Festlichkeiten oder wenn wir in ein Lokal gingen. Das war nicht oft der Fall – allein schon wegen der Hausordnung und den Hausarbeiten, die sehr viel Zeit in Anspruch nahmen. Heimlich trinken konnte und wollte ich nicht. Außerdem war mein Drang nach Alkohol in dieser Zeit nicht so groß. Die Sucht Damals wusste ich nicht, was sie bedeutet mit all ihrer Vielseitigkeit. Und hätte ich es gewusst, hätte ich wahrscheinlich weiter Alkohol getrunken. Ich war schon süchtig, ohne dass ich es wusste. Mit 25 Jahren bekam ich eine Arbeitsstelle und arbeitete im Büro. Freund Alkohol meldete sich, Damit ich keine Entzugserscheinung bekam, nahm ich jeden Tag einen Flachmann mit zur Arbeit. Meine Mutter litt wegen meiner Sucht sehr, was ich heute zutiefst bedauere. In dieser Zeit war ich mit einem 20 jährigen Mädchen liiert. Als ihr Vater davon hörte, verbot er ihr jeden Kontakt mit mir. Sie konnte sich nicht durchsetzen, und wir trennten uns, Mein Alkoholkonsum steigerte sich, Mir gefiel das Arbeiten nicht mehr. Mein Chef wusste, dass ich Alkoholiker war und wollte mich entlassen. Die Hauptfürsorgestelle ließ das nicht zu. Nun war das Arbeitsklima für mich fast unerträglich. Heute kann ich das Verhalten meines Chefs verstehen. Ich hätte wahrscheinlich genauso gehandelt wie er. Ich hatte immer Recht – alle Anderen nicht. Mit dieser Einstellung brauchte ich mich nicht zu wundern, wenn sich viele von mir abwendeten. Denen, die mich nicht fallen ließen, gilt mein aufrichtiger Dank. Dazu gehören in erster Linie meine Eltern und Geschwister sowie einige Freunde. 1978 zog ich mit dem Nötigsten nach Krautheim in Baden-Württemberg in das neu gegründete Eduard-Knoll-Wohnzentrum, wo ich noch heute als Bewohner lebe. Es ist eine Wohn- und Arbeitsstätte für Menschen mit Behinderung, die von Eduard Knoll, der durch eine Kriegsverletzung im Rollstuhl saß, gegründet wurde. (Für Interessierte hier die Homepage: www.ekwz.de) Ich hatte nun einen neuen Wohnsitz, aber nicht so der Alkohol. Er zog mich immer fester an sich, und ich ließ es geschehen. Es blieb mir nichts anderes übrig. So dachte ich!!! In dieser Zeit arbeitete ich in der angeschlossenen Werksstatt für Behinderte und las Korrektur, bevor das Geschriebene gedruckt wurde. Es gab noch keine Computer mit automatischer Fehleranzeige. Diese Tätigkeit gefiel mir. Aber es kam wie es kommen musste. Ich fing an zu zittern und zu schwitzen. Ich hatte Entzugserscheinungen: Als ich in der Mittagspause ein Glas Wein trank, waren sie weg. Irgendwann probierte ich es mit einem Flachmann. Das ging einige Zeit gut, bis mich Jemand an den Chef verriet. Ich durfte das Korrekturlesen nicht mehr ausführen. Man sagte mir, wenn eine andere Stelle frei wird, könnte ich es wieder versuchen. Ich war sehr deprimiert – vor allem auch deswegen, weil ich inzwischen im Rollstuhl saß. Ich bin zeitweise öfters hingefallen – meistens dann, wenn mir der Alkohol fehlte. Wenn ich an einem Gesprächkreis teilnahm, der länger als einer Stunde dauerte, musste ich unter einem Vorwand den Raum verlassen und schnell einen großen Schluck aus der Pulle machen. So auch bei Kino- und Konzertbesuchen. Ich nahm bei unumgänglichen Terminen ein Kaugummi in den Mund in der Hoffnung, man würde den Alkoholgeruch nicht bemerken, was aber ein Trugschluss war. Auch schlimm waren unter anderen meine wöchentlichen krankengymnastischen Anwendungen. Auf der einen Seite wollte ich meine fast freundschaftlichen Beziehungen zu meiner Physiotherapeutin nicht trüben – andererseits musste ich vorher einige Schlucke Wein trinken, um keine Entzugserscheinungen aufkommen zu lassen. Es gab Zeiten, in denen mir der Alkohol ausging weil ich kein Geld zum Einkaufen hatte. In dieser Zeit machte ich die Hölle mit. Ich war total verkrampft. Selbst das Einschalten des Fernsehers fiel mir schwer. Gar nicht zu denken an meine Spazierfahrten mit dem E.-Rolli. In dieser Zeit verkaufte ich Dinge, die ich normaler Weise nicht verkaufen würde – nur um zu Geld zu kommen. Da konnte ich die Drogenabhängige verstehen, die Straftaten begehen, um zu ihren Stoff zu kommen. Soweit war es bei mir nicht; abgesehen davon wäre mir das nicht gelungen wegen meiner Behinderung. Irgendwann riet mir mein Hausarzt, ich soll mich einer Langzeittherapie unterziehen. Nach vielen Zögern ließ ich mich in das psychiatrische Landeskrankenhaus in Weinsberg einweisen. In dieser Klinik wurden regelmäßig Gruppengespräche unter der Leitung eines Arztes oder Psychologen geführt, wobei es - wie könnte es anders sein – immer um Alkoholmissbrauch ging. Hintergründe wurden beleuchtet. Einige waren während ihrer Alkoholphase in kriminelle Delikte verwickelt, und bei solchen Gruppengesprächen kam Reue auf. So auch bei mir. Nicht wegen krimineller Delikte, sondern wegen den vielen Enttäuschungen, die ich bei manchen lieben Personen hinterließ. Es war interessant und teilweise lehrreich zu hören, wie tief man fallen kann, wenn man trinkt und nicht mehr davon loskommt. In der Endphase verblödet man, weil die Gehirnzellen zum größten Teil versoffen waren. Auch in einer AA-Gruppe, die ich zeitweise besuchte, wurde dieses gesagt. Mir konnte die Gruppe nicht helfen, da die Trinkmotive der Einzelnen familiärer oder beruflicher Art waren. Obwohl ich von den Folgen des Alkoholmissbrauches wusste, gab es in den folgenden Jahren für mich Zeiten des Trinkens und Zeiten des Entgiftens in Kliniken. Und immer nahm ich mir vor, nicht mehr zum Alkohol zu greifen. Aber er holte mich immer ein. Ich wurde in Phasen des Trinkens nie Aggressiv, Meine Mitmenschen bescheinigten mir aber eine negativ werdende Persönlichkeit. Nach der schon erwähnten Einstellung hatten sie Unrecht, und nur ich hatte Recht. So lebte ich in den fast sicheren Tod hinein. Mein Hausarzt bescheinigte bei mir eine Leberzierhose und überwies mich in ein Krankenhaus. Ich lag völlig apathisch im Bett und nahm nicht wahr, was um mich herum geschah. Als meine Eltern mich besuchten und den Arzt nach meinen Überlebenschancen fragten, sagte dieser, dass er kaum noch Hoffnung habe. Nach 8 Wochen hatte ich das Schlimmste hinter mir und kam wieder in meine vertraute Umgebung – zwar noch sehr schwach, aber das änderte sich bald. In den darauf folgenden 12 Jahren lebte ich abstinent. Warum ich wieder anfing, Alkohol zu trinken, weiß ich nicht. Vor ca. einem Jahr bekam ich Magenbluten. Ich wurde im Krankenhaus medikamentös behandelt und muss jetzt noch Medikamente nehmen. Seit einem Jahr lebe ich ohne Alkohol, und hoffentlich bleibt das so. Es geht ja auch OHNE!!! Hier will ich meinen Dank an das Pflegepersonal und Allen, die mit mir zu hatten und noch haben, aussprechen. Sie haben mich trotz meines Alkoholkonsums immer fair behandelt. Besonderer Dank gilt meiner Mutter. Die Entfernung war zu groß als das sie mir in Irgendeiner Art helfen konnte. Stattdessen, und man sollte nicht darüber lachen, betete sie jeden Abend für mich. SCLUSSWORT Der Leser mag nun denken, mein Leben sei eine Tragödie ohne Ende. Das ist nicht so. Es gab auch wunderbare Zeiten geprägt mit tollen Ereignissen, und immer war unsere Familie der Mittelpunkt von allen Erlebten. So hatte ich zeitweise das ganz große Verlangen Auto zu fahren. Oft kam ich dem nach und fuhr auf der Kirmes Autoscuter. Leider nur in begrenzten Maßen, weil ich nicht Geld genug hatte, um den ganzen Tag zu fahren. Bei Freunden und Bekannten durfte ich im Auto als Beisitzer das Gas betätigen und war stolz wie Oskar. Oder bei einem Freund auf seinem Moped mit zu fahren. Das Spielen im Wald Cowboy und Indianer. Die Familienfeste. Das Schlafen nachts in freier Natur. Das erste Mal mit einem Freund ins Kino gehen Dreimal mit einem Bekannten in seinem Flugzeug mitfliegen. Holland und Norderney erleben. Und, und, und Erinnerungen, die mir sehr viel bedeuten und mein ganzes Leben begleiten. Zu guter letzt noch zwei Begebenheiten zum Schmunzeln: Da ich wegen meiner Behinderung alles mit einem Trinkhalm trank und ich in einem Lokal einen doppelten Korn mit Strohhalm bestellte, sah mich der Kellner verdutzt an und fragte, ob ich ihn veräppeln will. Ein Autofahrer kommt in eine Polizeikontrolle und soll in das Messgerät blasen. Er wehrt sich mit Händen und Füßen. Auf die Frage, warum er sich so heftig wehrt sagte dieser „ich bin doch Anonymer Alkoholiker